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Jörg Stiel: »Der Verein ist nach diesen Jahren mit Max weiter eine europäische Hausnummer«

Jörg Stiel ist aktuell Torwarttrainer bei Grasshopper Club Zürich. Foto: picture alliance/KEYSTONE | ALEXANDRA WEY

Jörg Stiel gehörte in seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach zu den Publikumslieblingen. In seinen Pflichtspielen für die Fohlen hat der Schweizer stets alles gegeben. Aktuell ist der 53-Jährige Torwarttrainer in seiner Heimat beim Grasshopper Club Zürich und hat dennoch natürlich auch noch seinen Ex-Klub im Blick. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der ehemalige Kapitän über seine derzeitige Aufgabe, den Rücktritt seines Freundes Max Eberl und die aktuelle sportliche Situation der Fohlenelf.
Fohlen-Hautnah: Jörg, zunächst die ganz banale Frage: Wie geht es Dir?
Jörg Stiel: Danke der Nachfrage. Mir geht es sehr gut und ich freue mich am Leben. Ich bin privilegiert, weil ich weiter das tun kann, was ich als kleiner Junge schon getan habe und was mir nach wie vor großen Spaß macht.  
Fohlen-Hautnah: Du bist seit Anfang dieser Spielzeit Torwarttrainer beim Grasshopper Club Zürich, nachdem du deine Tätigkeit beim Fußballverband Liechtenstein beendet hattest. Wie kam es zu diesem Wechsel und was hat generell den Anschlag dafür gegeben, dass Du einen Job in der Schweiz angenommen hast? Als wir vor einem Jahr gesprochen haben, hörte es sich in Bezug auf einen Job eher ‚abenteuerlustig‘ an…
Jörg Stiel: Nach meiner Zeit in Neuchtâtel habe ich mir vom Fußball erstmal eine kleine Auszeit genommen. Dann kam im Winter 2021 das Angebot der Nationalmannschaft von Liechtenstein, das ich auch gerne angenommen habe. Die Aufgabe war interessant und hat Spaß gemacht, aber es war immer klar, dass ich mir ein Angebot anhöre, wenn es von einem Klub kommt. Ich mag die tägliche Arbeit auf dem Platz sehr. Als dann das Angebot von den Grasshoppers kam, musste ich nicht lange überlegen, weil das eine spannende und reizvolle Aufgabe ist und weil ich mit Giorgio Contini (Cheftrainer von Grasshopper Zürich, Anm. d. Red.) beim FC St. Gallen zusammengespielt habe und wir mal darüber gesprochen haben, zusammenzuarbeiten, wenn sich die Möglichkeit ergeben würde. Die gab es dann im letzten Sommer. Es war genau die richtige Entscheidung.
Fohlen-Hautnah: Dein Vertrag in Zürich läuft noch bis zum Sommer. Habt Ihr schon über eine Verlängerung gesprochen?
Jörg Stiel: Das ist so nicht richtig. Ich habe einen unbefristeten Vertrag, der beiderseits so beendet werden kann, wie das bei einem ‚normalen‘ Arbeitnehmer der Fall ist.
Fohlen-Hautnah: Du bist natürlich für die Torhüter zuständig. Welches Potenzial haben die Torhüter?
Jörg Stiel: Wir sind auf der Torhüterposition sehr gut besetzt. André Moreira, unsere portugiesische Nummer eins, ist ein sehr kompletter Torhüter, der durchaus in einer der europäischen Top-Ligen spielen und auch bestehen kann. Er beherrscht nicht nur die Linie sondern vor allem auch den Raum. Unsere Nummer zwei war unser Aufstiegstorhüter. Dann habe ich noch einen jungen, französischen Torhüter dazu geholt, der viel Potenzial hat. Da schauen wir mal, wie er sich entwickelt.
Fohlen-Hautnah: Mit den Grasshoppers belegt ihr nach 19 Spielen Platz 7. Wird die Platzierung der bisherigen Leistung und Möglichkeiten gerecht?
Jörg Stiel: Wir haben sicherlich den einen oder anderen Punkt aufgrund der fehlenden Erfahrung liegen gelassen. Wir haben 23 Punkte geholt. Wenn wir die erneut holen, dann haben wir eine sehr gute erste Saison gespielt. Am Ende als Aufsteiger auf Platz fünf oder sechs zu liegen, ist ok. Natürlich hat der Verein Ambitionen, aber das ist Zukunftsmusik.
Fohlen-Hautnah: Erzähle mal ein wenig mehr über die Grasshoppers…
Jörg Stiel: Der Klub hat eine grosse Geschichte und wurde 2020 von chinesischen Investoren übernommen. Jene, die auch bei den Wolverhampton Wanderers FC aus England beteiligt sind. Es gibt eine interessante Partnerschaft zwischen beiden Klubs. Die Grasshoppers haben also eine gewisse Internationalität und das ist auch etwas, was ich sehr reizvoll finde. Es eine spannende Aufgabe, deren Teil ich gerne bin.
Fohlen-Hautnah: Apropos Torhüter. Yann Sommer ist von den Gladbach-Fans zum Spieler des Monats Januar 2022 gewählt und als Schweizer Fußballer des Jahres 2021 ausgezeichnet worden. Zwei Auszeichnungen, die du sicherlich unterschreibst…
Jörg Stiel: Natürlich. Wenn man sieht, was Yann immer wieder bei Borussia leistet und auch in der Schweizer Nationalmannschaft, dann sind diese Auszeichnungen absolut berechtigt und verdient. Yann passt zur Borussia und Borussia passt zu Yann. Das Gesamtpaket Yann Sommer ist sowohl für die Borussia als auch für die Schweizer Nationalmannschaft sehr wertvoll.
Fohlen-Hautnah: Warum glaubst Du, ist Yann Sommer so lange schon bei Borussia und wird es hoffentlich noch lange sein? 
Jörg Stiel: Ganz einfach: Ich denke, es gefällt ihm in Gladbach (lacht). Es stellt sich im Leben ja die Frage: Sollte man etwas ändern, wenn es gut ist? Die Entwicklung, die er in den letzten acht Jahren in Gladbach genommen hat, ist herausragend. So eine Leistung konstant auf Top-Niveau abrufen zu können, ist eine grosse Leistung. Und die Wertschätzung, die sich der Mensch Yann Sommer und der Klub entgegenbringen, ist ein Wert, den man nicht so einfach zur Seite legen kann. Dieses Menschliche hat die Borussia. 
Fohlen-Hautnah: Womit wir beim Thema wären. Seit dem letzten Jahr, als wir telefoniert haben, ist am linken Niederrhein viel passiert. Zuletzt gab es den Paukenschlag, im negativen Sinne, dass dein Freund Max Eberl den Klub nach 23 Jahren verlassen hat. Dazu hat es am vergangenen Donnerstag eine Pressekonferenz gegeben. Hast du die verfolgt und wenn ja, wie hast du sie wahrgenommen und was hat das in dir ausgelöst?
Jörg Stiel: Von außen betrachtet war das natürlich sehr emotional. Es spricht für den Klub Borussia, wie man mit dieser Situation umgeht und wie man den Wünschen von Max entsprochen hat, das möglich zu machen, weil es eben um die Gesundheit geht. Hut ab vor Borussia, Hut ab vor den Menschen Rolf Königs, Rainer Bonhof und Stephan Schippers und Markus Aretz. Wie sie alle damit umgehen, ist das, was ich bei Yann angesprochen habe: Es war sehr authentisch und hat genau das Gegenteil von dem gezeigt, wohin der Fußball mitunter gedrängt wird. Hinter dem Namen Borussia Mönchengladbach stehen Menschen, die als Menschen entschieden haben. Die Gesundheit geht immer vor und es ist das Eine, darüber zu reden, und das Andere, dann umzusetzen. Mit Blick darauf, was Max die letzten dreizehn Jahre geleistet hat, hat man als Mensch und für den Mensch entschieden. Es geht auch nach Max Eberl weiter. Der Verein wird weiter bestehen und der Verein wird den eingeschlagenen Weg weitergehen. Borussia hat in der Vergangenheit sehr viele kluge Entscheidungen getroffen und wird das auch in Zukunft tun. Der Verein ist nach diesen Jahren mit Max weiter eine europäische Hausnummer, bei der viele Spieler sagen, da kann ich hin und komme in meiner Entwicklung und Karriere weiter. 
Fohlen-Hautnah: Für den Klub gilt es nun, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Was muss der deiner Meinung nach können? In die Fußstapfen von Max Eberl zu treten, wird ja nun nicht einfach sein…
Jörg Stiel: Er muss einfach ein gescheites und cleveres Köpfchen mit Fußballsachverstand sein. Er muss die Gegebenheiten annehmen und das Optimale aus dem herausholen, was da ist. Das gilt auch für den Trainer, die Spieler und den Sportdirektor gleichermaßen. Es kann sein, dass im Sommer einen Neuaufbau ansteht, weil sich der Kader verändert. Er wird eine Bestandsaufnahme machen und fängt dann an zu arbeiten.
Fohlen-Hautnah: Was sagt denn der Rücktritt von Max generell über das Fußballgeschäft Fußball aus?
Jörg Stiel: Jeder Mensch zeigt nur so viel, wie er zeigen kann oder wie er zeigen will. Jeder von uns muss auf sich schauen und darf Anzeichen nicht einfach ignorieren. Jeder reagiert anders. Gladbach hat gezeigt, dass das Fußballgeschäft nicht unmenschlich ist. Dass Max nach 23 Jahren im Verein mit sich gerungen hat, ob er noch weitermachen kann, ist für mich eine logische Konsequenz. Wir wollen ja Individuen haben und fördern, denn Individualität bereichert unsere Gesellschaft. Das andere ist, dass jeder für sich schauen muss, wie er mit dem ganzen Leben zurechtkommt. Ob das der Bankdirektor, der Maschinenbauer oder eben der Sportdirektor ist. Wenn es Anzeichen für eine Krankheit gibt, physischer oder psychischer Natur, muss man vorsichtig sein. Psyche sieht man ja nicht, die fühlt man nur. Und wenn ich die Signale nicht höre oder nicht wahrhaben will, kann das gefährlich sein. Das Tagesgeschäft Fußball lässt sehr viel Menschliches zu. Aber am Ende zählen wie überall die Ziele. Und die heißen für einen Sportdirektor in der Tabelle so weit oben wie möglich zu stehen, eine Mannschaft weiterzuentwickeln, Transfergewinne zu erzielen, die Gehälter zu kontrollieren. Aber, über allem steht die Gesundheit, ohne die wir all das nicht machen können. 
Fohlen-Hautnah: Was wünscht Du Max und glaubst Du, dass er wieder zurückkommt?
Jörg Stiel: Ich glaube, so wie er es auf der Pressekonferenz kommuniziert hat, ist jetzt erstmal offen, was er macht. Es sind jetzt andere Dinge wichtig. Dass er sich jetzt erholt, zur Ruhe kommt, Abstand gewinnt und zu sich findet. Alles andere wird kommen, wenn die Zeit reif ist. Dass er ein sehr guter Manager ist, muss er keinem beweisen.
Fohlen-Hautnah: Bleiben wir mal bei Borussia als Klub. Marco Rose ist nicht mehr Trainer, Adi Hütter sein Nachfolger. Jüngst hat Denis Zakaria den Klub in Richtung Juventus verlassen. Die Corona-Pandemie hat Borussia wie nahezu jeden Klub hart getroffen. Dazu läuft es sportlich alles andere als rund. Du wirst all das sicherlich verfolgt haben…
Jörg Stiel: Natürlich ist das für alle eine schwierige Situation. Jeder, der schon einmal im Abstiegskampf war, weiß, wie schwer das ist. Da bin ich ja schon fast Spezialist (lacht). Ansonsten hat jede Entscheidung seine Geschichte. Es liegt mir fern, das zu beurteilen. Dass Marco Rose gegangen ist, hat seine Ausstiegsklausel ermöglicht. Jeder muss für sich verantworten, was er sagt und was er tut. Adi Hütter hat in Frankfurt sehr gute Arbeit geleistet und bewiesen, dass er mit schwierigen Situationen umgehen kann. Aber jetzt heißt es Ärmel hochkrempeln und reinknien. Dann reden wir in vier Wochen vielleicht nicht mehr über Abstiegskampf.
Fohlen-Hautnah: Du hast in deiner Zeit bei Borussia auch überwiegend um den Klassenerhalt gekämpft. War beziehungsweise ist es ein Vorteil, wenn man so eine Situation kennt und worauf wird es jetzt ankommen?
Jörg Stiel: Du willst einfach Fußballspiele gewinnen und du musst die entscheidenden gewinnen. Das nächste Spiel gegen Bielefeld ist so eines. Aber die Mannschaft hat genug Qualität, um Spiele zu gewinnen und da unten rauszukommen. Es ist wichtig zu wissen, woher man kommt. Auch die Bayern hatten mal eine Phase – das ist allerdings schon sehr lange her – in der sie mittelmässig waren. Die Gefahr, dass so ein Jahr wie jetzt auch mal wieder bei Gladbach passiert, ist immer da. Man hatte das vielleicht in den letzten 10 Jahren etwas aus den Augen verloren, da der Weg kontinuierlich nach oben gezeigt hat. Aber es kommen manchmal verschiedene Faktoren zusammen, die du nicht planen kannst. Das ist der Fußball. Als Max angefangen hat, war die Borussia ein Abstiegskandidat. Jeder möchte gerne immer um die Champions League spielen. In den nächsten Wochen sind andere Qualitäten gefragt. Es geht nicht darum, schönen und attraktiven Fußball zu spielen, sondern darum, Punkte zu holen, egal wie. 
Fohlen-Hautnah: Am Samstag geht es für die Jungs nach Bielefeld und dann kommt Augsburg. Zwei exorbitant wichtige Spiele, die die Richtung geben werden…
Jörg Stiel: Absolut. Das ist jetzt Abstiegskampf. Den muss die Mannschaft jetzt positiv annehmen. Die zwei Spiele können viel verändern und die Richtung für die nächsten Wochen angeben.
Fohlen-Hautnah: In der neuen Spielzeit wird die Borussia personell wohl ein anderes Gesicht zeigen, als es das aktuell der Fall ist. Was wünscht Du Dir für die Zukunft und was denkst Du, was ist möglich für den Klub?
Jörg Stiel: Dass sich die Borussia so schnell wie möglich aus der Abstiegszone verabschiedet, um dann in Ruhe die neue Saison zu planen. Die bekannten Werte werden den Verein auch in die nächsten Jahre tragen. Gladbach ist eine sehr interessante Adresse für Spieler, sie sich entwickeln und den nächsten Schritt machen wollen. Du kannst aber auch so wie Yann sehr lange bei Borussia bleiben, kein Problem.

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