Druck als Identifikationsfigur? »Nein! Das ist mein größter Ansporn!«

Rocco Reitz Borussia Mönchengladbach Trainingslager Tegernsee.

Nach seiner erfolgreichen U21-Europameisterschaft und einer kurzen Pause ist Rocco Reitz ins Trainingslager am Tegernsee zurückgekehrt. Der 23-Jährige bringt nicht nur sportlich neue Energie mit, sondern wirkt auch gereifter – als Persönlichkeit auf und neben dem Platz. Im Gespräch spricht er über seine Rolle bei Borussia Mönchengladbach, die Lehren aus der vergangenen Saison, seinen Ehrgeiz und die Verantwortung, die er zunehmend übernimmt – als Spieler, Führungskraft und Identifikationsfigur des Vereins.

Rocco Reitz über:

…die ersten Eindrücke im Trainingslager:

Die Stimmung ist gut. Es ist natürlich immer eine gewisse Euphorie da, wenn eine neue Saison beginnt – und das spüre ich jetzt hier auch. Ich bin jetzt knapp fünf Tage da, und ja, es ist schon anstrengend, aber es macht auch viel Spaß. Ich glaube, die Neuen haben sich gut integriert, so wie ich das jetzt mitbekommen habe. Es wirkt alles sehr rund und macht einen guten Eindruck.

… seinen körperlichen Zustand nach der EM:

Die EM war schon anstrengend, wirklich. Auch die Zeit weg von zu Hause – das war für mich das erste Mal, so ein Turnier zu spielen. Und es ging ja zum Glück sehr lange. Die freie Zeit danach habe ich gut genutzt. Man fällt schon in so ein kleines Loch, wenn man eine Woche mal nichts macht. Nach drei, vier Tagen merkt man dann, dass der Körper richtig runterfährt. Wenn man dann wieder anfängt zu laufen, merkt man: Jetzt geht’s wieder los.

… seine Hochzeit und die Reaktionen auf das Turnier:

Ich war ja schon im November standesamtlich verheiratet. Jetzt war es eher die große Feier mit der Familie – also eine Party, bei der man einfach noch mal größer feiert und mehr Leute einlädt. Natürlich habe ich viele Glückwünsche bekommen – auch wegen des Turniers. Aber ich glaube nicht, dass sich dadurch etwas an meinem Status geändert hat.

seine Rolle bei der U21-EM:

Das war schon eine andere Rolle, die ich dort eingenommen habe – das muss man einfach sagen. Und so eine Rolle kannst du auch nur einnehmen, wenn du da reingeworfen wirst und dann versuchst, voranzugehen. Es ist natürlich auch ein Stück weit leichter, wenn man in einer Mannschaft ist, wo alle ungefähr dein Alter haben und du vielleicht schon ein paar Spiele mehr gemacht hast als der eine oder andere. Da fällt es ein bisschen leichter. Aber mir hat das extrem viel Spaß gemacht, und die Mannschaft ist wirklich top mitgezogen. Es war eine sehr coole Erfahrung.

… Vergleiche mit Joshua Kimmich:

Ob ich das nachvollziehen kann, weiß ich nicht so ganz genau. Klar, da steckt viel Mentalität drin – auch in der ganzen Mannschaft, die da bei dem Turnier über all die Tage hinweg durchgezogen hat. Aber ich glaube, was das Fußballerische angeht, ist Jo Kimmich noch ganz weit entfernt.

seinen aktuellen Status bei Borussia:

Ja, das stimmt schon – ich bin jetzt 23, und wenn man sich hier umschaut, sind echt viele junge Hüpfer dabei. Da, wo ich auch mal war. Da ist es für mich ein Ziel, mehr Verantwortung zu übernehmen – auch dem Alltag geschuldet. Und ich glaube, das wird auch ein Ziel von mir in dieser Saison sein.

…eine mögliche Kapitänsrolle:

Ich glaube, das ist kein Thema, bei dem man sich als Spieler bewerben sollte oder irgendwie laut werden muss. Wir haben super Spieler, die die Mannschaft auch intern letztes Jahr geführt haben. Und am Ende ist es die Entscheidung vom Trainer, welchen Kapitän er haben möchte.

  seine Zukunft bei Borussia:

Ich habe jetzt keine andere Info. Ich bin hierher gekommen, um die Saison erfolgreich zu gestalten, um es besser zu machen als letztes Jahr. Und ich bin jetzt auch privat noch mal umgezogen – meine Frau und ich fühlen uns sehr, sehr wohl. Ich fühle mich extrem wohl hier. Ich denke, es ist jetzt noch mal so ein gewisser Schritt, den ich gehen kann, den ich letztes Jahr nicht gegangen bin – Themen wie Führungsrolle und Verantwortung übernehmen. Und ich glaube, das wird mir auch noch mal sehr gut tun.

…Transfergerüchte nach dem Turnier:

Das geht heutzutage sehr, sehr schnell. Du machst ein gutes Spiel – zack, steht irgendwo ein Artikel im Internet. Aber ich lege da keinen Wert drauf, lese mir das nicht alles durch und achte da nicht groß drauf. Ich kriege da auch keine Infos zu.

…die Kommunikation mit seinem Berater:

Ich habe meinem Berater direkt gesagt, dass ich in dieser Saison nichts von ihm hören möchte. Natürlich gibt es andere Themen rund um den Sport, um die er sich kümmert. Wir kennen uns gut, aber wir wollen jetzt keine besten Freunde werden, die jeden Tag miteinander sprechen. Nur, wenn es Themen oder Anliegen gibt – und dann vor allem solche, die ich äußere.

… die Konkurrenzsituation im Mittelfeld:

Diie Karten werden neu gemischt. Und das ist auch richtig so. Jeder muss sich neu beweisen. Wir haben sehr viele Mittelfeldspieler in dieser Saison, das ist wirklich bemerkenswert. Aber ich glaube, die Stärksten werden sich durchsetzen, und der Trainer wird die Spieler aufstellen, die er für den jeweiligen Gegner braucht. Ich denke, das hat dann wenig mit der letzten Saison zu tun.

…offensive Rollen und seine Flexibilität:

Ich habe früher in der Jugend so eine offensivere Rolle gespielt. Aber es ist schon noch mal ein Unterschied, ob du das im Profibereich machst. Du musst da viele Bälle festmachen, das ist noch mal was anderes. Wenn der Trainer mich da aufstellt, würde ich aber nicht nein sagen. Du bist halt ein bisschen näher am Tor – und das macht natürlich auch Spaß. Aber ich sehe das nicht als meine Hauptposition.

… seine Torgefahr und Positionsveränderungen:

Das ist ein Thema, mit dem ich mich selbst viel beschäftige. Wenn du eine Saison hast, in der du sechs Tore machst, und dann in der nächsten nur zwei, dann nagt das natürlich an einem. Aber der Trainer ist der Chef, er gibt vor, was gespielt wird und was er haben möchte. Und das haben wir Spieler zu befolgen. Mir macht es aber auch Spaß, das eigene Tor zu verteidigen. Es ist nicht so, dass ich mich unwohl fühle auf der Sechs. Ob ich jetzt die Acht spiele, die Achteinhalb oder eine tiefere Sechs – ich glaube, ich kann überall etwas reinbringen. 

… den Austausch mit dem Trainerteam:

Ich bin ja noch nicht so lange wieder hier, aber ich denke, wenn das Trainingslager vorbei ist und wir wieder in Gladbach trainieren, wird es auf jeden Fall mal Gespräche geben. Das interessiert mich ja auch – um zu wissen, was gefordert wird und worauf ich mich einstellen kann. Ich glaube, so fährt man dann auch am besten.

Standardsituationen:

Ich habe oft gefragt oder angeboten. Wenn ich die Standards schießen dürfte, würde ich es gerne machen. Aber wir haben natürlich auch sehr gute andere Standardschützen. Und wir haben Trainer, die sich explizit damit beschäftigen. Die werden dann die Entscheidung treffen.

… defensive Stabilität:

Ich habe immer lieber ein 1:0, ein 0:0 oder ein 2:1, bei dem wir wenige Gegentore kassieren. Es zehrt auch an einem, wenn du drei oder vier Gegentore bekommst und weißt, dass du fünf schießen musst, um ein Spiel zu gewinnen. Ich glaube, das wird ein Hauptaspekt, auf den wir definitiv achten und den wir trainieren werden – dass diese Marke besser wird. Denn viele Gegentore bedeuten meistens auch keine gute Platzierung. Wir müssen uns da gemeinschaftlich reinhauen.

…das Saisonende:

Das war natürlich eine schwierige Phase. Wenn du einmal in so einer Talfahrt bist – mit schwachen Leistungen und schlechten Ergebnissen – dann ist es extrem schwer, da wieder rauszukommen. Ich denke, wir sollten uns in der neuen Saison nicht zu sehr den Kopf machen, egal wo wir stehen – ob oben oder weiter unten. Wir müssen wirklich schauen, dass wir jede Woche das Maximale auf den Platz bringen und uns gut auf den Gegner vorbereiten. Es bringt nichts, wenn wir schon an den übernächsten Gegner denken, aber das aktuelle Spiel nicht richtig angehen.

…Werte und Leitlinien für die neue Saison:

Für mich sind Disziplin und Respekt ganz zentrale Themen – auf und neben dem Platz. Auch der Respekt gegenüber den Mitspielern. Wenn einer läuft, musst du mitlaufen. Du musst dich gezwungen fühlen, alles zu geben, wenn jemand voranmarschiert. Wenn drei, vier, fünf Jungs das auf dem Platz tun, ziehen sie die anderen mit. Ich glaube, über Intensität und harte Arbeit begeben wir uns automatisch in Situationen, in denen mit dem Ball etwas passieren kann. Aber erstmal müssen die Basics stimmen.

…vergangene Schwächen:

Ich denke nicht, dass es letztes Jahr am Einsatz gelegen hat. Ich fand nicht, dass wir uns hängen lassen haben oder nicht versucht haben, uns zu wehren. Es waren eher taktische Kniffe, kleine Details, manchmal Pech – oder der letzte Meter, der gefehlt hat. Dieses Jahr wollen wir das beeinflussen, was wir beeinflussen können: Einsatz, Konzentration, Wille.

…seinen Rat an junge Spieler:

Geduld und harte Arbeit. Auch mal nebenbei mehr machen. Sich immer konzentrieren, jede Einheit nutzen, immer zuhören, bei denen, die den Weg schon gegangen sind, genau hinschauen. Es ist brutal schwer – ist einfach so. Bei mir ging es auch nur über Umwege. Deswegen: hart arbeiten, geduldig bleiben, Chance nutzen.

…die WM 2026 als mögliches Fernziel:

Erstmal ist mir der Verein wichtig. Denn das geht nur über Leistung im Verein, über Ergebnisse, über Platzierung. Wenn wir gut spielen – und ich auch – dann kann das vielleicht mal Thema werden. Aber aktuell zählt für mich Borussia.

…das Turnier in der Rückschau:

Nach dem Finale haben wir noch schön zusammengesessen, ein bisschen was getrunken – die Zeit wertgeschätzt. Es war wirklich einzigartig. Wir haben als Team sehr gut performt, sind über die Gemeinschaft gekommen. Es gab Lob von vielen Seiten. Gewonnen haben wir nicht, aber ich weiß das alles gut einzuordnen. Es hat extrem viel Spaß gemacht.

Das Finale war schon ärgerlich. Wir haben in der ersten Halbzeit nicht so richtig ins Spiel gefunden – vielleicht war es Nervosität, vielleicht waren die Gedanken noch woanders. Ich glaube, wären wir von Anfang an da gewesen, hätten wir das Spiel gewonnen. Und dann auch noch die Latte in Bratislava – das war wirklich Pech. Trotzdem: Zweiter Platz – hätte ich vorher sofort genommen. Wir können stolz sein.

…den wachsenden Druck und seine Rolle als Identifikationsfigur:

Also, für mich ist das keine Belastung – im Gegenteil. Im Grunde willst du das ja als Spieler: Dass du irgendwann mal in so eine Rolle oder so einen Status kommst, gerade bei deinem Heimatverein, wo du schon dein ganzes Leben lang bist. Deswegen ist das für mich eher eine Motivation, ein echter Ansporn, genau das zu liefern – für die Mannschaft, für die Fans. Ich denke, das wird mich nicht behindern. Ganz im Gegenteil: Das sind eher Gründe, noch mehr zu machen. Und darauf freue ich mich extrem.