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Jörg Stiel: »Gladbach war im Spätherbst meiner Karriere ein absoluter Glücksfall«

Jörg Stiel hütete drei Jahre lang das Tor der Borussen. Foto: picture-alliance / Sven Simon | SVEN SIMON

Von 2001 bis 2004 spielte Jörg Stiel bei Borussia Mönchengladbach und hütete in 96 Pflichtspielen das Tor der Fohlenelf. Borussias ehemalige Nummer eins war der erste Schweizer Mannschaftskapitän und beliebt bei den VfL-Fans. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der heute 52-Jährige unter anderem über seinen Nachfolger und Landsmann Yann Sommer, die anderen Schweizer im Team, die Zeit bei Borussia, seinen Freund Max Eberl und den bisherigen Saisonverlauf.

Fohlen-Hautnah: Jörg, zunächst einmal die wichtigste Frage in diesem Jahr: Wie geht es Dir und Deiner Familie?

Jörg Stiel: Vielen Dank der Nachfrage. Meiner Familie, mir und auch meinen Eltern, die ja in Freiburg im Breisgau leben, geht es Gott sei Dank gut. Alle sind gesund. 

Fohlen-Hautnah: Ein in vielerlei Hinsicht ereignisreiches und schwieriges Jahr 2020, das uns alle beruflich und privat vor große Herausforderungen gestellt hat, ist zu Ende. Wie hast Du es erlebt?

Jörg Stiel: Das Jahr hatte vor allem mit Blick auf Corona viele Herausforderungen. Aber Jammern bringt nichts, wir müssen das Beste daraus machen. Für mich war es ein langes Jahr. Manchmal hatte ich das Gefühl, es verläuft wie in Zeitlupe. Unabhängig davon hat mir vor allem der Lockdown gezeigt, wie privilegiert es ist, in der Schweiz oder auch in Deutschland leben zu können. Unser Bundesrat hat sehr gute Arbeit gemacht. Sportlich war es für mich ein sehr interessantes und spannendes Jahr. Ich konnte in Neuchâtel in der französisch sprechenden Region der Schweiz leben und mich in verschiedener Hinsicht weiterentwickeln.

Fohlen-Hautnah: Weil Du Neuchâtel schon angesprochen hast. Zuletzt hast Du dort als Torwarttrainer bei Xamax Neuchâtel und davor fünf Jahre im Nachwuchsbereich des FC Basel gearbeitet. Nach dem Abstieg hast Du Xamax allerdings verlassen. Was hat Dir diese Aufgabe mit auf den Weg gegeben?

Jörg Stiel: Die fünf Jahre in Basel im Jugendbereich waren für mich wie eine Lehre. Ich wollte nach all den Jahren den nächsten Schritt in meiner Entwicklung machen und wollte herausfinden, ob die Ideen, die ich im Jugendbereich entwickelt hatte, auch im Profibereich funktionieren. In diesem Zusammenhang war die Aufgabe bei Xamax für mich aus zwei Gründen sehr spannend; weil wir mit sehr beschränkten Mitteln versuchen mussten, etwas zu erreichen. Das ist mit dem Abstieg nicht geglückt, was natürlich, nach wie vor, sehr frustrierend ist. Aber am Ende geht es auch darum, ob einem die Aufgabe persönlich weitergebracht hat. Xamax war eine tolle und lehrreiche Erfahrung. Dass ich bei Xamax nicht weitergemacht habe, hat damit zu tun, dass der Besitzer und ich unterschiedlicher Auffassung waren und ich keine Perspektive des Vereins zur Weiterentwicklung gesehen habe. Da war es für mich logisch, dass wir uns im Guten trennen.

Fohlen-Hautnah: Bis Sommer 2020 warst Du auch Torwarttrainer der U20-Nationalmannschaft des Schweizer Fußballverbandes. Wie kam es zu dieser Aufgabe?

Jörg Stiel: Patrick Folletti, der Chef-Torhüter-Trainer der Schweiz hat mich angefragt, ob ich das machen würde. Es hat mich gereizt, mit jungen Torhütern auf internationaler Ebene zu arbeiten. Diesen Job habe ich zwei Jahre lang gemacht. Das war eine sehr gute Erfahrung aber irgendwann habe ich dann gemerkt, dass die Entwicklung zu Ende ist.

Fohlen-Hautnah: Wer könnte denn Deiner Meinung nach Yann Sommer bei der ‚Nati‘ am ehesten beerben?

Jörg Stiel: Yann wird noch ein paar Jahre in der Nationalmannschaft spielen, davon gehe ich aus. Dahinter lauern in Gregor Kobel vom VfB Stuttgart, Anthony Raccioppi vom Dijon FCO, Yvon Mvogo von PSV Eindhoven und Jonas Omlin vom HSC Montpellier vier richtig gute Torhüter. Am Ende wird die Entwicklung eines jeden einzelnen und der Nationaltrainer entscheiden.

Fohlen-Hautnah: Grundsätzlich kann man aber festhalten, dass man Dich eher bei einem Profiklub als Torwarttrainer wiedersehen wird. Gibt es da schon eine Aufgabe, die Dich reizt? 

Jörg Stiel: Absolut. Ich möchte im Fussball bleiben, weil es mir einfach großen Spaß macht, mit Menschen nah zusammenzuarbeiten und mich erfüllt. Zurzeit schaue ich mich um. Nach so vielen Jahren im Fußball kenne ich sehr viele Leute, die im Fußball arbeiten. Die Pandemie hilft gerade nicht dabei, einen neuen Job zu finden und auch der Posten des Torwarttrainers wird nicht so schnell gewechselt. Das sieht man zum Beispiel an Uwe Kamps, der schon sehr viele Jahre bei der Borussia tätig ist und einen sehr guten Job macht. Eigentlich kann ich mir aber von Neuseeland bis Chile alles vorstellen. Am Ende muss man schauen, was für Möglichkeiten vorhanden sind. Es bestehen verschiedene Kontakte. Darunter sind eine Nationalmannschaft und zwei Klubs aus dem Ausland. Mexiko, Chile, die Staaten oder auch Thailand würden mich reizen. Konkretes gibt es da aber noch nicht. Eine weitere reizvolle Aufgabe wäre auch die Arbeit des Sportdirektors. Den Besten kenne ich ja (grinst). Von ihm kann ich viel lernen. Ich bin sehr gespannt, was die Zukunft bringt und wohin es mich verschlägt. Es geht immer um das Projekt, das spannend sein muss und bei dem ich mich weiterentwickeln kann.

Fohlen-Hautnah: Seit 2007 bist Du auch für die Firma WS4sports AG tätig. Was ist da genau Dein Aufgabengebiet?

Jörg Stiel: Ich war Teilhaber dieser Firma. Mittlerweile habe ich meine Anteile zwar verkauft, bin aber noch angestellt. Dabei betreue ich diverse Kunden und kümmere mich um das Sponsoring. Die Torhüter, die unsere Handschuhe tragen, betreue ich in der Schweiz. Diese Aufgabe bereitet mir Spaß, aber sie kann mir die Arbeit auf dem Platz nicht ersetzen. Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, wieder auf den Platz zurückzukehren und eine Aufgabe in einem Verein anzunehmen.

Fohlen-Hautnah: Wie hat sich denn das Torwartspiel in den letzten Jahren, speziell nach Deinem Karriereende, verändert?

Jörg Stiel: Das ist relativ einfach. Einen Ball zu halten, ist die eine Sache. Aber Fußball zu spielen als elfter Feldspieler ist die andere. Heutzutage ist es praktisch unmöglich, ein Torhüter zu sein, der kein taktisches Verständnis hat und der nicht mit beiden Füßen die Bälle verteilen kann. Du kannst einen Torhüter nicht nach einem Schema trainieren. Denn die Individualität ist das Oberste, was ein Torhüter hat. Das musst du unterstützen. Im individuellen Torhütertraining kannst du die offensiven Situationen, das heißt die Auslösung und Fortsetzung des Spiels, nur bedingt simulieren . Zu 85 Prozent trainierst du die torhüter-spezifischen Dinge. Im Spiel gibt es genau eine andere Komponente. Da ist der Torhüter zu 85-90 Prozent mit seinen Füssen beschäftigt. Der Spagat als Torhütertrainer ist also größer geworden, weil du verstehen musst, was auf dem Platz läuft. Du musst verstehen, in welchem Zusammenhang der Torhüter mit seinen Mitspielern steht und wo er mit seiner jeweiligen Position der Mannschaft in der Auslösung und der Fortsetzung des Spiels helfen kann. Ich habe in den letzten Jahren bei der Arbeit mit vielen spannenden Trainern viel gelernt.

Fohlen-Hautnah: Wären in diesem Zusammenhang auch Uwe Kamps und Gerry Ehrmann zwei Torwarttrainer, von denen Du Dir etwas abschaust?

Jörg Stiel: Natürlich. Ich habe mit Uwe immer mal wieder Kontakt. Dann reden wir über viele Dinge. Du kannst von jedem etwas mitnehmen. Gerade von so Typen wie Uwe und Gerry, die beide in ihrer Zeit richtig gute Torhüter waren und sehr viel Erfahrung haben. Man sieht es in Gladbach; auf der Torhüterposition gibt es eine große Konstanz und Gerry hat viele junge Torhüter auf den Weg gebracht. Du kannst überall etwas mitnehmen. Am Ende werde ich aber keine Kopie von irgendjemandem sein.

Fohlen-Hautnah: Hattest Du eigentlich vor Deinen Spielen immer ein Ritual und wenn ja, welches?

Jörg Stiel: Marcel Koller war mal mein Trainer. Er hielt überhaupt nichts von Ritualen. Also habe ich das gelassen (lacht). Ich habe nicht darauf geachtet, ob ich zum Beispiel erst den linken und dann den rechten Finger tape. Denn im Umkehrschluss bedeutet das ja, dass du schlecht spielen müsstest, wenn du es mal anders machst. Solche Abhängigkeiten behindern deine Leistung. Am Ende rennst du nur noch deinen Ritualen hinterher und vergisst das Wichtigste dabei: das Fußballspielen. Deine Leistung wird durch dein Training unter der Woche und dein Leben daneben definiert.

Fohlen-Hautnah: Kommen wir mal zur Borussia. Was war Borussia für Dich beziehungsweise was ist aus dieser Zeit bei Dir hängen geblieben und was war für Dich der schönste Moment?

Jörg Stiel: (Schmunzelt) Ganz ehrlich gesagt und das ist auch so: ich war ja sehr lange beim FC St. Gallen. Die Leute in der Schweiz verbinden mich auch immer mit diesem Klub, aber wenn Du mich fragst, wo denn meine Gefühle hängengeblieben sind, dann ist das bei Borussia. Das hat einfach mit den Menschen im Klub zu tun, mit der Freundschaft mit Max und all den Menschen, die sehr lange bei Borussia arbeiten und die ich kenne. Das hat mit dem Trainer zu tun, den ich haben durfte – Hans Meyer. Meine Eltern kommen aus der Region, aus Duisburg. Es hängen einfach viele Emotionen an Gladbach. Für mich war der Wechsel nach Gladbach im Spätherbst meiner Karriere ein absoluter Glücksfall. Deshalb war der Wechsel an sich einer der schönsten Momente. Dazu ist es für mich enorm wichtig, dass die Freundschaften und die Beziehungen zu den Menschen, die ich kennengelernt habe, weiterhin Bestand haben. Aufgrund dessen hängt mein Herz an Gladbach und nicht irgendwo anders.

Fohlen-Hautnah: Im Rahmen des 120. Geburtstags des Klubs konnten die Fans jeweils eine Mannschaft des Jahrzehnts wählen. Die Fans haben Dich in die Mannschaft der 2000er-Jahre gewählt. Was bedeutet Dir das?

Jörg Stiel: Wenn ich so etwas höre, dann spiegelt das einfach die Beziehung zwischen Gladbach, den Menschen und mir wider. Es waren nur drei Jahre, die ich dort gespielt habe, aber es ist schön, wenn du dann so ein bisschen Spuren hinterlassen kannst. Es bedeutet mir sehr viel, als Mensch Spuren zu hinterlassen. Darum schätze ich diese Wahl sehr und sie bedeutet mir sehr viel.

Jörg Stiel: Apropos Fans. Du warst Publikumsliebling, weil Du immer alles gegeben und vor allem gut gespielt hast und auch authentisch warst. Was waren die VfL-Fans für Dich?

Fohlen-Hautnah: Ich glaube so wie Yann Sommer, habe ich auch reingepasst. Das hatte mit meinen Mitspielern zu tun, die ich hatte. Neben Max, Steffen Korell, Peter Nielsen, Arie van Lent – es gab sehr viele Jungs, mit denen ich mich sehr schnell gut verstanden habe. Ich denke, das haben die Fans sehr schnell registriert und weil sie meine vielleicht manchmal unkonventionelle Art, als Mensch und Torwart, geschätzt haben. Die Menschen haben mich so genommen, wie ich bin und das wollte ich ihnen zurückzugeben, in dem ich versucht habe, ab und zu mal einen Ball zu halten (lacht).

Fohlen-Hautnah: Zu Beginn der Pandemie und des Lockdowns hat Borussia mit den Pappkameraden weltweit für positives Aufsehen gesorgt. Wie hast Du das wahrgenommen und hast Du auch überlegt, eine Figur im Borussia-Park zu platzieren?

Jörg Stiel: Ich habe die Aktion wahrgenommen. Allerdings war mir nicht bewusst, dass ich mir auch einen Pappkameraden hätte kaufen können. Ein tolle Aktion! Leider kann aber keine Marketingaktion die 54.000 Zuschauer im Borussia-Park oder 74.000 im Berliner Olympiastadion ersetzen. Ich freue mich einfach, wenn die Stadien wieder mit Menschen voll sind und Fussball wieder so emotional ist, wie wir ihn von vorher kennen. Es wird den Teams nochmal einen richtigen Schub geben, wenn die Fans wieder für eine tolle Stimmung und Atmosphäre sorgen. Vielleicht hätte das eine oder andere Unentschieden zu Hause vermieden werden können, weil auch die Fans den Unterschied ausmachen können.

Fohlen-Hautnah: Du warst damals der erste Schweizer, der bei Borussia die Kapitänsbinde übernahm. War das schon eine Ehre für dich oder nimmt man das in diesem Moment gar nicht so richtig wahr?

Jörg Stiel: Natürlich war das eine Ehre für mich. Wenn ich schaue, wer zuvor alles die Kapitänsbinde getragen hat. In dieser Reihe einer davon gewesen zu sein, erfüllt mich mit Stolz! 

Fohlen-Hautnah: Du kennst den Bökelberg noch, hast dort bei Wind und Wetter gespielt. Heute spielt Borussia in einem hochmodernen Stadion. Vermisst Du ein bisschen die Zeit in den alten, charmanten Stadien?

Jörg Stiel: Ich bin ein wenig Fussball-Nostalgiker. Aber natürlich hat das wirtschaftliche Aspekte. Es ist einfach so, dass Stadien modernisiert werden, um auch neben den Spielen zusätzlich Einnahmequelle zu generieren. Ich bin stolz, noch einer Generation anzugehören, die auf dem Bökelberg gespielt hat, wo Rainer Bonhof, Berti Vogts, Günter Netzer und viele andere gespielt haben. Das hat für mich schon einen hohen emotionalen Stellenwert. Aber wir leben in der Realität und da ist dieser ganze Komplex Nordpark schon sehr beachtlich und absolut richtig. Das ist Weiterentwicklung und zeitgemäß.

Fohlen-Hautnah: Du hast schon Yann Sommer genannt. Bei Borussia spielen mit Yann Sommer, Nico Elvedi, Denis Zakaria, Breel Embolo und Michael Lang gleich fünf Schweizer. Ist das Zufall oder macht die Schweiz einfach eine gute Ausbildungsarbeit?

Jörg Stiel: Max (Max Eberl, Anm. d.R.) hat sehr schnell gemerkt, dass Schweizer sehr anpassungsfähig sind. Sie benötigen aufgrund der Sprache und ähnlicher Kultur keine große Anpassungszeit. Sie kommen und sind da. Wir Schweizer können an vielen Orten der Welt leben, weil wir es gewohnt sind, mit vielen Sprachen zurechtzukommen. Die andere Seite ist, dass die Ausbildung in der Schweiz sehr gut ist. Der Fußballverband und die Klubs arbeiten eng zusammen. Es gibt da gerade auch bei den Torhütern eine einheitliche Ausbildung. Und das hilft enorm. 

Fohlen-Hautnah: In Yann Sommer steht einer Deiner Nachfolger bei Borussia zwischen den Pfosten. Im Vergleich zu den vergangenen Spielzeiten kommt Yann in den aktuellen Statistiken nicht allzu gut weg. Allerdings ist da die Gesamtleistung der Mannschaft zu betrachten. Wie bewertest Du seine bisherige Leistung?

Jörg Stiel: Für mich gibt es eine Statistik, bei der man über Jahre eine Kurve sieht, die bei Yann linear ist. Er hat auf einem sehr hohen Niveau sehr gute Leistungen gezeigt. Er ist seit 2014 bei der Borussia und man sieht bei der Kurve, dass es den einen oder anderen Ausreißer nach unten oder oben gibt. Auf seine Gesamtleistung der letzten Jahre haben diese im statistischen Bild für mich aber keinen Einfluss. Gladbach hat mit ihm zweimal die Champions League erreicht und in der Europa League gespielt. Er ist kaum verletzt. Er hat sich in der Bundesliga wie generell der gesamte Verein kontinuierlich weiterentwickelt. Mal einen gehaltenen Ball und mal einen, von dem man sagen könnte, dass er einen Fehler gemacht hat – von solcher Kritik halte ich nichts. Wichtig ist, dass er Fehler oder Verbesserungen mit Uwe Kamps und Steffen Krebs bespricht und korrigiert. Er ist selbstkritisch genug, um Dinge zu sehen und mit seinem Trainerteam zu korrigieren. Diese Arbeit machen sie zusammen und rausgekommen sind dann bisher sehr kontinuierliche und konstante Leistungen in den letzten Jahren. Es ist kein Zufall, dass er Vize-Kapitän und mittlerweile eine der tragenden Säulen bei Borussia ist. Er ist ein Typ, der auch die nötige Intelligenz besitzt, Dinge in einer Mannschaft zu regeln und sie auch zu führen. Er hat sich als Führungsspieler weiterentwickelt. Darum ist er seit Jahren bei Borussia Mönchengladbach und in unserer Nationalmannschaft die Nummer eins. 

Fohlen-Hautnah: Dann gibt es da noch Breel Embolo, der gegen Bielefeld zwar zum Sieg getroffen hat, aber auch in diesem Spiel zu viele Möglichkeiten liegen gelassen hat. Auf der anderen Seite scheint Borussia genau der richtige Klub für ihn zu sein, weil vor allem Marco Rose auf ihn setzt. Wie fällt Dein Urteil zu ihm aus?

Jörg Stiel: Natürlich ist die Borussia der richtige Club. Weil er sich in diesem Gefüge wohlfühlt. Ich kenne Breel noch aus meiner Zeit beim FC Basel. Man darf nicht vergessen, dass er sich beim FC Schalke diese schwere Verletzung zugezogen hat. Ich glaube, dass er jetzt langsam zur Ruhe kommt und auch in einen Spielrhythmus. Wir werden noch viel Spaß an ihm haben, weil er extremes Potenzial hat. Dass er im Abschluss immer mal wieder einen liegen lässt, gehört auch zu der Entwicklung eines jungen Spielers dazu. Das Endscheidende ist, dass er in Bielefeld die schwierigste Chance verwertet hat. In der Situation war er nämlich unter Druck und hat die Ruhe behalten. Das ist genau sein Potential. Er kann Gegenspieler mit seinem Körper verdrängen und dann das Tor machen. Wenn er dann noch mehr Ruhe in sein Spiel bekommt und nicht mehr so viel überlegt, wenn er alleine aufs Tor zuläuft, dann wird er auch öfters treffen. Das Wichtigste ist, dass er sich sehr viele Chancen erarbeitet. Und irgendwann wird er nicht mehr zwei oder drei, sondern nur noch eine Chance brauchen.

Fohlen-Hautnah: In Nico Elvedi und Denis Zakaria stehen zwei weitere Schweizer Stützen der Borussia und der ‚Nati‘ bis 2022 unter Vertrag. Beide wurden in der Vergangenheit immer mal wieder mit anderen Klubs in Verbindung gebracht. Max Eberl möchte beide halten. Was würdest Du den beiden mit Blick auf die Zukunft raten?

Jörg Stiel: Dass Begehrlichkeiten an Spielern wie Elvedi und Zakaria kommen, ist logisch, wenn man auf diesem Niveau spielt und weil es Vereine gibt, die finanziell andere Möglichkeiten haben als Gladbach. In der Bundesliga geht es außer den Bayern jedem Verein so, dass Spieler gehen, weil sie weggekauft werden. Nico und Denis sind schon lange bei Borussia und werden den Klub irgendwann einmal verlassen. Das Entscheidende ist dann, wie du den Erlös wieder intelligent einsetzt, um erneut solche Spieler zu bekommen. Das kann Max hervorragend. Er ist für mich der beste Manager in der Liga der letzten 10 Jahre. Nicht, weil er ein Freund von mir ist, sondern weil er über die letzten zehn, zwölf Jahre diese Kontinuität und einen klaren Weg hatte, wie der gesamte Verein. Was ich den beiden bei einem Wechsel mit auf den Weg geben würde; dass es ein Verein sein muss, der noch bessere Möglichkeiten bietet als die Borussia. Es geht um die Frage, ob du von einem Top-Verein in Deutschland und mittlerweile auch in Europa weggehst. Als Spieler kann man sich hier auf hohem Niveau zeigen, beweisen und weiterentwickeln. Borussia ist für mich eine Vorzeigeadresse für junge Spieler mit Potential, die Großes erreichen wollen. 

Fohlen-Hautnah: Mit in der damaligen Mannschaft war auch Dein ehemaliger Teamkollege Max Eberl. Erst kürzlich hat er seinen Vertrag als Sportdirektor bis 2026 verlängert und damit ein starkes Zeichen gesetzt. Wie bewertest Du seine Arbeit aus der Entfernung?

Jörg Stiel: Die Arbeit, die Max, sein Team und der gesamte Vorstand und Verein in den letzten zehn Jahren bei der Borussia gemacht haben, ist herausragend. So stelle ich mir professionellen Fußball vor und so geht Kontinuität. Bei Max steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Das spüren die Spieler und bringt den Verein in ein gutes Licht und zeigt sich schlussendlich auch in den Transfers, die Max tätigen kann, weil er eben Spieler davon überzeugen kann, die vielleicht anderswo mehr verdienen würden, sich in Gladbach aber gut weiterentwickeln können. Diesen Weg hat er in den letzten zehn Jahren konsequent verfolgt. Er hat großen Fußballsachverstand, ist sehr intelligent und ist Dir im Gespräch immer zwei Gedanken voraus. So ist er das Gesicht eines Vereins geworden, der in einer authentischen, sympathischen Art und Weise erfolgreichen Fussball spielt.

Fohlen-Hautnah: Aktuell hat sich Max Eberl eine Verschnaufpause genommen…

Jörg Stiel: Ich finde die Auszeit gut und sinnig. Denn der Job ist schon sehr anspruchsvoll. Max ist seit 16 Jahren in einer strategischen Position und hat vor allem auch immer dann zu tun, wenn die Spieler in Urlaub fahren. Dass er jetzt mal eine Pause machen kann, spricht auch für den klaren Weg des Vereins. Man hat alle Spieler gehalten und „muss“ in diesem Winter keine Transfers tätigen. Das spricht einfach für die gesamte Planung. Grundsätzlich ist das ein gutes Zeichen vom Verein, dass sie dem Wunsch von Max entsprochen haben. Das passt aber auch wieder zu Borussia Mönchengladbach, ganz einfach. Weil im Verein Menschen mit Menschen zusammenarbeiten.

Fohlen-Hautnah: Eher im Hintergrund macht Dein ehemaliger Mitspieler Steffen Korell im Verbund mit Max Eberl einen ebenso starken Job…

Jörg Stiel: Absolut. Das ist auch kein Wunder, weil sie sich schon sehr lange kennen und verstehen. Sie sind gemeinsam diesen Weg gegangen und haben sich gemeinsam entwickelt. Deshalb wundert es mich nicht, dass Steffen nach wie vor im Verein arbeitet und auch einen richtig guten Job macht. Steffen ist ein ruhiger Typ, der nicht gerne im Rampenlicht steht. Dass er diesen Job macht und ihm natürlich auch ein großer Teil des Lobes der letzten Jahre zukommt, ist für mich völlig normal. Die Identifikation passt, der Job passt – und darum ist er immer noch da. Er findet bei Borussia Arbeitsbedingungen vor, die auf ihn zugeschnitten sind und er genau den Job machen kann, der ihm Spaß macht. Und weil es ihm Spaß macht, ist er gut.  

Fohlen-Hautnah: Du bist für die Saison 2009/10 wieder zu Borussia zurückgekehrt und hast als Dolmetscher für Juan Arango gearbeitet. Wie schwierig war es damals Juan in die Mannschaft zu integrieren?

Jörg Stiel: Juan war ein spezieller Typ. Er war eher introvertiert. Er hat durch seine fußballerischen Qualitäten seinen Weg in die Mannschaft gefunden. Wir haben das ganz gut hinbekommen und es hat mir Spaß gemacht, weil es Fußball, Sprache und bei Borussia war. 

Fohlen-Hautnah: Verfolgst Du Borussia heute noch aus der Ferne und wie bewertest Du den bisherigen Saisonverlauf?

Jörg Stiel: Natürlich schaue ich mir die Spiele an. Ich glaube, durch den hohen Rhythmus ergibt sich in der Konstanz der Leistungen ein bisschen ein verzerrtes Bild. Zuhause wurden sehr viele Spiele unentschieden gestaltet, die vielleicht in der vergangenen Saison eher mal gewonnen wurden. In der Tabelle liegt man so vielleicht zwei Plätze zu weit hinten, weil man Zuhause nicht mit der letzten Konsequenz den Match-Plan durchziehen konnte. Aber; mit dem Achtelfinaleinzug in der Champions League und dem momentanen Tabellenplatz haben sie bis jetzt eine sehr gute Runde gespielt. Ihr System verlangt eine sehr hohe physische Präsenz und das ist mit diesem 3-Tage-Rhythmus auch mental gar nicht immer möglich. Marco Rose musste viel rotieren und Spielern immer mal wieder eine Pause gönnen. Man darf nicht vergessen, dass die Spieler mit drei Wettbewerben und Länderspielen ein straffes Programm abgespult haben. Deshalb war es im Ganzen ein richtig gutes halbes Jahr.

Fohlen-Hautnah: Aktuell gibt es Gerüchte um Marco Rose, er könne Lucien Favre beim BVB beerben. Glaubst Du, dass eine Mannschaft das in irgendeiner Art beeinflusst und was würdest du an Marco Roses Stelle tun?

Jörg Stiel: Ich weiß nicht, wie konkret das ist. Ich sehe das aber auch nicht dramatisch, weil ich glaube, dass Marco und Max ein großes Einvernehmen haben. Deswegen gilt da für mich, wie bei Spielern auch die Überlegung, wohin will man von Gladbach aus gehen. Dass das die Mannschaft beeinflusst, glaube ich nicht. Denn die Dinge, die intern und extern diskutiert und besprochen werden, sind vielfach unterschiedlich. Dazu bin ich weit davon entfernt, Marco Rose Ratschläge zu geben. Für mich ist der Job, den er begonnen hat, noch nicht beendet. Der Weg ist noch nicht zu Ende. Aber er muss entscheiden, was er machen möchte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Marco Rose geht, weil mir kein Grund einfällt.

Fohlen-Hautnah: In der Champions League ist der Klub ins Achtelfinale der Champions League eingezogen, in der Liga hinkt man den Ansprüchen etwas hinterher. Was traust Du der Truppe in dieser Spielzeit noch zu?

Jörg Stiel: Es wäre natürlich eine schöne Geschichte, wenn man sich gegen Manchester City für die nächste Runde qualifizieren würde. Dann geht es in der Liga darum, die Unentschieden in Siege umzuwandeln, vor allem zu Hause. Und wenn man sich dann am Ende wieder für die Champions League qualifizieren kann, ist es ein perfektes Jahr. Das traue ich der Mannschaft zu.

Fohlen-Hautnah: Und auch dafür war es wichtig, mit einem Sieg in das neue Jahr zu starten. Gegen Arminia Bielefeld ist das gelungen, wenn auch nur mit einem 1:0. Wie fällt Dein Urteil zu diesem Spiel aus?

Jörg Stiel: Dieser Sieg war sehr wichtig für den Kopf. 85 Minuten lang war das eine Demonstration der Borussia. Von der Bewegung her, sehr konzentriert verteidigt und auch technisch war das ein sehr hochstehender Fußball. Das war kein Arbeitssieg, sondern die bessere Mannschaft mit der höheren individuellen Klasse und einer sehr guten Struktur und Organisation hat gewonnen. Und dass Breel Embolo das entscheidende Tor macht, hat mich sehr für ihn gefreut – das war ein wunderbarer Fußballnachmittag.

Fohlen-Hautnah: Jetzt kommt am Freitag der FC Bayern München in den Borussia-Park…

Jörg Stiel: Es ist eine spezielle Woche für Gladbach, da sie seit langem wieder einmal eine ganz normale Woche mit lediglich zwei Spielen erleben. Diese zusätzliche Erholung ist im Hinblick auf die kommenden Aufgaben sehr wichtig. Ich bin mir sicher, dass es ein spannendes Spiel wird, in dem alles möglich ist. Die Bayern sind vor Gladbach mittlerweile gewarnt. Mit Sicherheit werden sie dieses Spiel anders angehen, als das noch gegen Mainz der Fall war. Auch wenn das niemand so sagen würde. Es kann ein Vorteil sein, dass die Borussia, nicht wie gegen Bielefeld, das Spiel alleine machen muss, sondern auch auf Konter spielen kann. Allerdings ist es für mich wichtig, einen sehr aktiven Fussball, gegen den Ball zu spielen. Eine gute Mischung aus Ballbesitz und Konterfussball wäre in meinen Augen nicht schlecht. Die Bayern werden versuchen, sehr viel Ballbesitz zu haben und dann über ihre schnellen Leute auf den Aussenbahnen die Tiefe suchen. In einigen Spielen hat man gesehen, dass die Bayern gerade mit Bällen hinter die Abwehr, in der Rückwärtsbewegung, immer wieder Probleme bekommen und anfällig für Gegentore sind. Mainz hatte genau aus so einer Situation die Möglichkeit, auf 0:3 zu erhöhen. Ich freue mich jetzt schon auf ein nächstes Highlight diese Woche!

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