Tony Jantschke, ehrenvoll „Fußballgott“ genannt, spielt seit 16 Jahren bei Borussia. Foto: Dirk Päffgen.
Seit mittlerweile 16 Jahren ist Tony Jantschke nun bei Borussia Mönchengladbach. In dieser Zeit hat der „Fußballgott“, wie ihn die Fans ehrenvoll nennen, viel erlebt. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 32-Jährige unter anderem über das Legenden-Spiel, den Trainerwechsel zu Daniel Farke, seine Rolle in der Mannschaft, bisherigen Saisonverlauf und blickt auf die übrigen Saisonspiele.
Fohlen-Hautnah: Tony, schauen wir zunächst mal zurück auf das Legendenspiel am vergangenen Samstag. Du hast ein Tor geschossen, die aktuellen Profis haben gewonnen. Wie hast du diesen Tag/Abend erlebt und hattest du Gelegenheit, dich mit dem einen und anderen auszutauschen?
Tony Jantschke: Es war ein großartiger Tag. Bereits bei meiner Ankunft am Nachmittag habe ich viele ehemalige Spieler getroffen. Mit dem Großteil habe ich auch noch zusammengespielt. Ich habe mit vielen Spielern schöne Zeiten erlebt. Nach dem Spiel habe ich noch lange mit dem einen oder anderen gesprochen. Es war für mich ein schöner und generell ein rundum gelungener Tag.
Fohlen-Hautnah: Gerade auch Juan Arango hat eindrucksvoll gezeigt, dass er noch Luft und es nach wie vor drauf hat…
Tony Jantschke: Juan hat wirklich absolut geniale Bälle gespielt und ist immer noch Top-Fit. Auch Igor de Camargo hat mit seinem Kopfballtor gezeigt, dass er es immer noch drauf hat. Da sind alles Jungs, die eine unfassbare Qualität haben. Wenn Spieler den Verein verlassen, verliert man sie für den Moment vielleicht aus den Augen, aber in diesem Spiel haben sie ihr Können nochmal aufblitzen lassen. Der eine oder andere hat körperlich sicherlich etwas abgebaut, aber das ist völlig normal, wenn man nicht mehr täglich trainiert. Man hat an diesem Abend nochmal gesehen, dass es unfassbar gute Fußballer im Borussia-Park gab. Es hat Spaß gemacht, ihnen noch mal zuzusehen.
Fohlen-Hautnah: Von den Legenden zu denen, die es mal werden wollen und vielleicht auch schon sind. Mittlerweile habt ihr anderthalb Trainingswochen hinter euch gebracht. Wie fällt da dein Fazit aus und merkt man da im fortgeschrittenen Fußballeralter schon mal, dass es etwas zwickt?
Tony Jantschke: Ich bin ganz gut durch die Hinrunde gekommen. Wir haben viel an der Fitness gearbeitet und freuen uns, dass die WM-Fahrer nun nach und nach zurückkommen.
Fohlen-Hautnah: Es laufen einige Verträge aus. Wie geht man damit innerhalb der Mannschaft um?
Tony Jantschke: Ich glaube, dass das Thema in der Öffentlichkeit zu einem größeren gemacht wird, als es ist. Natürlich ist einem bewusst, dass wir gute Spieler haben, aber gute Spieler verlassen eben auch mal Verein, das ist ganz normal. Intern wird sehr wenig darüber gesprochen, vielleicht gelegentlich mal in einer kleineren Gruppe. Es ist aber bei weitem nicht so, dass wir täglich die Artikel in den Medien oder die Gerüchte aufgreifen. Wir können es ohnehin nicht beeinflussen und lassen uns überraschen. Bei Borussia stand dann immer eine Top-Mannschaft auf dem Platz, das habe ich im Laufe der Zeit gelernt. Und so wird es auch dann diesmal sein.
Fohlen-Hautnah: Vorbereitung ist Vorbereitung. Aber ist sie doch irgendwie anders nach der WM 2022?
Tony Jantschke: Fussballer sind Gewohnheitstiere. Je länger ich aber darüber nachdenke, dann finde ich diesen Rhythmus aber gar nicht so schlecht. Wir haben freie Tage gehabt in einer Phase, in der es sehr kalt war. Bei solchen Temperaturen hätte vielleicht auch der eine oder andere Fan keine große Lust auf Stadionbesuch. Beim Spiel der Legenden hatten wir auch Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Wenn man das logisch betrachtet, ist es eigentlich gar nicht vernünftig, bei diesen Temperaturen zu spielen. Von dieser Seite her fand ich die Pause gar nicht schlecht. Wenn man in den warmen Urlaub machen möchte, fliegen die Spieler ohnehin quer durch die ganze Welt. Deshalb fand ich die Pause zu dieser Zeit insgesamt vernünftig.
Fohlen-Hautnah: Hast du nach Katar geschaut und siehst du in Argentinien einen würdigen und verdienten Weltmeister und welches Team hat dich überrascht bzw. enttäuscht?
Tony Jantschke: Bei mir kam gar keine große WM-Stimmung auf. Ich kann aber gar nicht sagen warum. Das Finale habe ich zwar verfolgt, aber vorher eher wenig Spiele in voller Länge geschaut, abgesehen von den Spielen der Deutschen. Ich find es schwierig, Trends rauszusehen. Im Endeffekt ist es ein Turnier und es ist deshalb nicht so einfach, einen Trend oder ein Team auszumachen. Es geht darum, zu gewinnen. Über die Saison gesehen ist es etwas anderes, Vereine zu beurteilen. Beispielsweise würde ich im Falle von Spanien nicht sagen, dass der Ballbesitzfussball aufgrund ihres frühen Ausscheidens vorbei ist. Auf mich selber ist das Feuer bei der WM nicht so übergesprungen. Insgesamt habe ich recht wenig gesehen.
Fohlen-Hautnah: Kommen wir mal zu dir. In dieser Spielzeit hast du bis dato erst vier Einsätze sammeln können. Zufrieden kannst und wirst du damit natürlich nicht sein. Wenn du aber auf dem Platz stehst, bringst du immer deine Leistung und wirst von den Fans eben auch als Fußballgott gefeiert. Wie schaffst du es, wie zum Beispiel gegen Stuttgart nach einer Zeit ohne Einsätze dann plötzlich so fokussiert zu sein und solch eine starke Leistung abzurufen?
Tony Jantschke: Erstmal ist das mein Job. Auf der anderen Seite weiß ich, dass sich meine Rolle im Laufe der letzten Jahre auch etwas geändert hat. Wenn du Innenverteidiger Nummer drei oder vier bist, dann weißt du, dass du nicht so viele Einsätze bekommst. Das ist nunmal so. Wir sind auf dieser Position gut besetzt. Ich gebe im Training immer alles, um dann eben in genau solchen Spielen voll da zu sein. Auch in München habe ich geholfen, das Ergebnis noch über die Zeit zu retten. Man muss immer voll da sein, wenn man gebraucht wird. Ich versuche im Training und in den Einsätzen das Maximum herauszuholen.
Fohlen-Hautnah: Du bist seit mittlerweile sage und schriebe 16 Jahren bei Borussia. Das ist für einen Fußballer eine ganz seltene „Stehzeit“. Was ist Borussia also für dich und gab es jemals Überlegungen Borussia zu verlassen?
Tony Jantschke: Borussia ist mein Klub. Natürlich gab es auch mal Phasen, die etwas schwieriger waren. Da gab es dann Gespräche mit meinem Berater und auch Max Eberl und wir haben nach Lösungen gesucht. Bevor Lucien Favre kam, gab es auch Phasen, in denen ich nicht so oft gespielt habe. Borussia hat mir aber immer das Zeichen gegeben, mich nicht ziehen zu lassen, weil sie mit mir etwas vor haben. Im Endeffekt hat sich das für beide Seiten ausgezahlt: Ich habe mich stetig verbessert, Borussia hat sich verbessert und ich durfte mit in der Champions League spielen. Für mich gab es deshalb keinen Anlass, mich neu zu orientieren. Gelegentlich macht man sich mal Gedanken, das ist aber völlig normal und bei jedem Mensch so. Es wird aber ganz oft viel zu wenig darüber nachgedacht, was man im Falle eines Abschiedes zurücklassen würde. Ich habe für mich entschieden, dass ich meinen Vertrag bei Borussia immer wieder verlängere. Der Verein sah das dann auch so, denn es ist ja keine Einbahnstraße. Demzufolge hat es bisher immer ganz gut gepasst.
Fohlen-Hautnah: Dir fehlen noch elf Einsätze bis zu der Marke von 250 Bundesligaeinsätzen für die Borussia. Eine herausragenden Marke, die dich stolz machen dürfte und dir dir was bedeutet?
Tony Jantschke: Natürlich. Letztlich ist es allerdings nur eine Zahl und letztlich müsste man eher die gespielten Minuten betrachten. Das werde ich immer erwähnen, denn ich habe weitaus mehr Einsatzminuten als Patrick Herrmann, obwohl er viel mehr Spiele als ich hat (lacht). Spiele sind immer einfach zu rechnen, aber vor allem als Verteidiger blickt man dann auch etwas neidisch zu den Stürmern: Sie kommen öfters zu Kurzeinsätzen als ein Innenverteidiger. Für mich ist eher die Zeit und die Jahre, die ich hier bin, entschiedener, das macht mich stolz.
Fohlen-Hautnah: Wenn wir bei Leistung sind. Wie bewertest du eure Auftritte in den ersten 15 Ligaspielen – was war gut, was muss besser werden?
Tony Jantschke: Vor allem in den Heimspielen haben wir sehr gut abgeliefert. Auswärts haben uns Ergebnisse teilweise die gute Darstellung zunichte gemacht. Wir hatten gute Auswärtsspiele, in denen wir es nicht gut zu Ende gespielt haben, das muss man klar sagen. Wir müssen den Flow aus den Heimspielen auch auswärts übertragen. Es ist seit Jahren so, dass wir zu Hause stärker sind als auswärts. Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die am Ende vielleicht entscheidend sind: Hier und da ist der Schiedsrichter, allerdings unbewusst, vielleicht mit einem Prozentpunkt mehr auf Seiten der Heimmannschaft. Außerdem kennt man als Spieler den Platz und die Gegebenheiten und man fühlt sich einfach wohler. Wenn man erfolgreich sein möchte, muss man aber auch auswärts punkten. Daran müssen wir arbeiten.
Fohlen-Hautnah: Leverkusen, Augsburg, Hoffenheim und Schalke sind die ersten Gegner, wenn es im Januar wieder losgeht. Was wird da wichtig sein, um gut aus den Starlöchern zu kommen und wie bewertest du dieses Programm?
Tony Jantschke: Gute Ergebnisse helfen natürlich immer. Vor allem in solch einer stressigen ersten Woche, in der es schon um neun Zähler geht, muss man einfach punkten. Auf Dauer erreicht man sicherlich mehr Punkte, wenn man guten und attraktiveren Fussball zeigt und das gelingt, was man sich vornimmt. Allerdings gibt es auch Phasen, in denen man einfach punkten muss, um den Anschluss nach oben zu halten. Es ist wichtig, dass wir direkt voll da sind.
Fohlen-Hautnah: Was glaubst ist in dieser Spielzeit möglich?
Tony Jantschke: Das ist aktuell schwer zu sagen. Wir müssen einfach unsere Punkte holen und dann schauen wir mal. Die Liga ist total ausgeglichen, da kann gefühlt jeder jeden schlagen. Es ist schwer, da eine Prognose abzugeben. Es klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber wir müssen einfach genug Punkte holen.
Fohlen-Hautnah: Was hat sich generell unter Daniel Farke verändert und was unterscheidet ihn im Vergleich zu Adi Hütter?
Tony Jantschke: Trainer zu vergleichen, ist immer schwierig. Insgesamt spielen wir ein bisschen mehr Ballbesitzfussball. Jeder Trainer hat seine eigene Philosophie und Herangehensweise im Training. Letztlich werden wir Spieler und Trainer an Ergebnisse gemessen und deshalb werde ich den Teufel tun, Trainer zu vergleichen. Es ist auch immer eine persönliche Wahrnehmung. Ich kann hundertmal sagen, dass der Trainer super ist. Wenn aber die Ergebnisse nicht stimmen, ist es genau umgekehrt. Wir sind nunmal im Profisport und werden an Ergebnissen gemessen.
Fohlen-Hautnah: Inwiefern hat sich die Stimmung oder Chemie innerhalb der Mannschaft seit Sommer verändert oder sogar verbessert?
Tony Jantschke: Auch das ist immer ein Mythos. Im Endeffekt ist es immer so, dass die Stimmung gut ist, sofern die Ergebnisse passen. Umgekehrt ist es genau so. Ich habe es selten erlebt, dass wir in der Saison richtig schlecht waren und eine gute Stimmung hatten. Wir haben es hinbekommen, in der Mannschaft Charaktere zu entwickeln, die auch in schwierigen Situationen die Ruhe bewahren. Wir haben mittlerweile viele erfahrene Spieler. Insgesamt würde ich die Stimmung nicht von Trainern, sondern von Ergebnissen abhängig machen. Auch die Fans messen uns an Ergebnissen. Natürlich wollen die Fans sehen, das wir marschieren und guten Fußball spielen. Aber sind wir mal ehrlich. Wenn wir dreimal ‚rumgurken‘ und die Spiele gewinnen, dann ist es ihnen auch egal. Im Endeffekt wirst du an Ergebnissen gemessen. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit höher zu siegen, wenn du auch gut spielst. Aber am Ende zählen unter dem Strich nur die Punkte.
Fohlen-Hautnah: Seit ein paar Wochen ist Max Eberl wieder im Geschäft bei RB Leipzig. Das hat gerade bei den Fans für Kopfschütteln und Unverständnis gesorgt. Wie siehst du das?
Tony Jantschke: Ich lehne mich da nicht zu weit aus dem Fenster. Ich kann immer nur betonen, dass ich Max den Großteil meiner Karriere zu verdanken habe und ich immer gut mir ihm klar kam. Er hat für Borussia unfassbar viel geleistet. Ich werde aber einen Teufel tun und persönliche Dinge und Entscheidungen zu bewerten. Das steht mir nicht zu. Ich kenne auch nicht alle Hintergründe und man weiß nie, wie es in einem selber aussieht. Persönlich wünsche ich Max immer nur das Beste, weil ich ihm sehr viel zu verdanken habe. Ich kann über Max Eberl nicht schlechtes sagen.
Fohlen-Hautnah: Wenn du auf das Jahr 2022 zurückschaust. Wie würdest du es beschreiben, was hat dich überrascht und eben nicht und was möchtest du den Fans noch mit auf den Weg geben?
Tony Jantschke: Es war insgesamt ein turbulentes Jahr. Insgesamt ist Borussia ein stabiler Verein, auch was die leitenden Angestellten angeht. Wenn dann beispielsweise Max Eberl und auch Adi Hütter den Klub verlassen, dann sind das Konstellationen, die sehr selten vorkommen. Schon gar nicht innerhalb eines Jahres. Auch für mich war es ein kurioses Jahr. Das Legenden-Spiel war dann ein schöner Abschluss. Denn an diesem Tag durfte man erleben, was Borussia ausmacht. In Gesprächen nach dem Spiel schwärmten viele Spieler darüber, dass die Zeit bei Borussia die schönste ihrer Karriere war. Auch die Fans haben gezeigt, was den Verein ausmacht und sind mit 25.000 so zahlreich bei Minusgraden in den Borussia-Park geströmt. Da haben die Fans wieder gezeigt, wie sie zu ihrem Verein stehen. Mehr muss man nicht sagen.
Fohlen-Hautnah: Es ist bekannt, dass dein Vertrag im Sommer aufläuft. Hast du noch Lust zu ‚kicken‘ und gab es schon Gespräche über eine Vertragsverlängerung oder geht Tony Jantschke jetzt auf Abschiedstour und übernimmt dann wie geplant eine Aufgabe im Verein. Und wenn ja, welche ist da generell geplant?
Tony Jantschke: Als Max Eberl noch Sportdirektor war und ich meinen Vertag da nochmals verlängert habe, habe ich mit Borussia einen Anschlussvertrag verankert. Wir waren uns schnell einig, dass ich auch nach der Karriere erstmal im Verein bleibe. Das möchte ich auch. Zu diesem Zeitpunkt war das aber unabhängig davon, ob ich nach Vertragende im Sommer 2023 noch weiterspiele oder nicht. Wir werden uns zeitnah zusammensetzen und schauen, wie es weitergeht. Ich würde gerne noch spielen, aber wir werden darüber nochmal sprechen. Das ist ganz normal. Wie ihr schon gesagt habt: Es gibt aktuell viele Verträge, die auslaufen. Deshalb nehme ich mich da nicht ganz so wichtig. Ich denke, dass wir dann im Januar in Ruhe darüber sprechen, wie es in Zukunft für mich weitergeht.
Fohlen-Hautnah: Wie verbringt Tony Jantschke abschließend das Weihnachtsfest und was wünscht du dir für 2023 – privat und sportlich?
Tony Jantschke: Ich wünsche mir Gesundheit, das hat oberste Priorität. Weihnachten verbringe ich ganz klassisch bei der Familie in der Heimat.