Reitz, Netz und Co.: Wie vielversprechend war die Saison für Borussias Talente? 

Ein Duo mit unterschiedlichen Rückblicken auf 2023/24 – Rocco Reitz und Joe Scally. Foto: Dirk Päffgen.

»Meine und unsere Aufgabe wird es sein, wieder den Borussia-Weg zu gehen«, hatte Roland Virkus bei seinem Amtsantritt im Februar 2022 verkündet. Dabei geht es, neben dem Einsatz gestandenen Spieler, vor allem um die Entwicklung und Förderung von Jugendspielern und externen Top-Talenten. Dass dies ein längerer Prozess werden würde, ist den meisten Fans bewusst. Wie sieht jedoch die Bilanz für die Talente von Borussia Mönchengladbach in der abgelaufenen Spielzeit aus? Eine Analyse mit Blick auf das kommende Jahr. 

Veränderte Rolle für Scally

Schon vor der abgelaufenen Saison war Joe Scally fester Bestandteil von Borussias erster Elf. In den Jahren unter Adi Hütter und Daniel Farke ist er nahezu ausschließlich als Rechtsverteidiger zum Einsatz gekommen, doch mit der neuen Grundformation testete Gerardo Seoane die Vielseitigkeit des US-Amerikaners. So wurde Scally in der Dreier- beziehungsweise Fünferkette auf der rechten Innenverteidigerposition und auf den beiden äußeren Mittelfeldpositionen eingesetzt. In der Saison 2023/24 kam er auf insgesamt 31 Einsätze in der Bundesliga und vier DFB-Pokal-Auftritte. Wettbewerbsübergreifend durfte der Verteidiger 28-Mal von Beginn an spielen und steuerte ein Tor sowie vier Assists bei. 

Sportlich lief das zurückliegende Jahr allerdings auch für den US-Boy durchwachsen. Das hing unter anderem mit dem allgemeinen Leistungsabfall der Fohlenelf zusammen, besonders defensiv offenbarte die Mannschaft große Schwächen. Dass Scally gerade einmal 21 Jahre jung ist, übersieht man bei aller Kritik jedoch leicht. Schließlich hat er in seiner Laufbahn bereits 89 Bundesliga- sowie neun DFB-Pokal-Spiele absolviert und durfte neunmal für die Nationalmannschaft der USA auflaufen. Trotz der bisherigen Erfahrungen wird seine Entwicklung weitere Zeit benötigen, hat auch er sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Daher wird Scally aller Voraussicht nach, auch aufgrund seiner neuen Vielseitigkeit, eine feste Größe bei Borussia bleiben.  

Netz mit dem nächsten Schritt

Bewusst haben sich Virkus und Seoane vor der Saison dafür entschieden, auf den Transfer eines gestandenen Linksverteidigers zu verzichten und auf den damals 20-jährigen Luca Netz zu setzen. Dieser ist bereits seit Sommer 2021 bei Borussia, war damals von Hertha BSC nach Mönchengladbach gekommen. Ist Netz in der Vorsaison lediglich Ergänzungsspieler gewesen, vollzog er im vergangenen Jahr die Entwicklung hin zur Stammkraft. 30 Einsätze in der Bundesliga, davon 25 von Beginn an, sowie vier DFB-Pokal-Spiele und fünf Assists gingen auf sein Konto. Zum Vergleich: In der Saison 2022/23 ist er siebenmal in der Startelf gewesen und 13-Mal eingewechselt worden.

Im Gegensatz zu Scally ließ Seoane den gebürtigen Berliner auf seiner gewohnten linken Seite spielen, je nach Formation als Linksverteidiger in der Viererkette oder im linken Mittelfeld bei einer defensiven Dreierkette. Für ihn wird es in der kommenden Saison darum gehen, seine Leistung konstant abzurufen und damit einen weiteren Entwicklungsschritt zu machen. Schließlich steht auch Netz noch am Beginn seiner Karriere und benötigt ein solides Grundgerüst um sich herum, das vor allem von den Leistungen der gestanden Spieler abhängt. 

Reitz als Aushängeschild der „neuen“ Generation

Einer der größten Lichtblicke war zweifelsfrei Rocco Reitz. Nach seiner Leihe bei der VV St. Truiden blühte er besonders in der Hinrunde auf, wurde in jedem Bundesligaspiel eingesetzt und stand dabei 24-Mal in der Startelf. Mit sechs Treffern war der zentrale Mittelfeldspieler hinter Robin Hack und Alassane Plea drittbester Torschütze bei den Fohlen, hinzu kamen drei Assists. Ebenfalls durfte der gebürtige Duisburger dreimal im DFB-Pokal von Beginn an auflaufen. Kein Wunder, dass er sich zum Fan-Liebling entwickelte. Trotz der enttäuschenden Rückrunde auf Mannschaftsebene lief die Saison für ihn persönlich erfolgreich: Zum krönenden Abschluss folgte die Teilnahme bei der EM-Vorbereitung des DFB-Teams, wo er seinen 22. Geburtstag im Kreise der Nationalmannschaft feierte.

Letztlich bleibt abzuwarten, wie sich die Konkurrenzsituation im Zentrum der Fohlen entwickelt. Mit Philipp Sander und Kevin Stöger wurden zwei erfahrene Spieler für das defensive beziehungsweise offensive Mittelfeld verpflichtet; zudem soll sich Florian Neuhaus dazu entschieden haben, in Mönchengladbach zu bleiben und um seinen Platz zu kämpfen. Julian Weigl scheint als Vizekapitän und Ballverteiler gesetzt. Dennoch wird der Borussia-Weg nicht an Reitz vorbeiführen, möchte man ihn als Aushängeschild der neuen Generation weiter fördern. 

Erste Erfahrungen für Chiarodia, Ullrich und Fukuda

Wie sieht die Fohlenelf der Zukunft aus? Einen Eindruck davon konnte man bereits in der vergangenen Saison gewinnen, schließlich durfte manches Talent erstmalig für Borussia Bundesligaluft schnuppern. Eines davon ist Fabio Chiarodia: Der italienische U19-Nationalspieler, der im vergangenen Sommer aus Bremen an den Niederrhein gewechselt ist, kam auf sieben Einsätze in der Bundesliga und drei DFB-Pokal-Partien. Sein persönliches Highlight dürfte der Pokal-Achtelfinalsieg gegen den VfL Wolfsburg gewesen sein, bei dem der Innenverteidiger über 120 Minuten auf dem Platz stand. Weil Chiarodia einerseits als Wunschtransfer Seoanes gilt, andererseits als Linksfuß einen der von Virkus geforderten „Skills“ mitbringt, wird er in Zukunft wohl mehr Spielzeit erhalten.

Ebenfalls neu dazugestoßen ist Lukas Ullrich. Der Linksverteidiger, der im Sommer 2023 ablösefrei aus Berlin verpflichtet worden ist, kam immerhin auf vier Einwechslungen in der Bundesliga. Eine größere Rolle spielte er für die zweite Mannschaft in der Regionalliga West; dort erreichte Ullrich 19 Einsätze, alle von Beginn an. In der vierthöchsten Spielklasse gelangen ihm zwei Tore sowie sechs Assists – was umso beachtlicher ist, da er von November bis Januar aufgrund einer Schulterverletzung pausieren musste. Ob er in der Saison 2024/25 den nächsten Schritt in der ersten Bundesliga macht, wird davon abhängen, inwieweit er sich im Konkurrenzkampf um die linke Verteidigerposition durchsetzen kann. Es ist allerdings davon auszugehen, dass auch er mehr Einsatzminuten erhalten wird, sofern er größtenteils verletzungsfrei bleibt.

Nicht jedes Talent war jedoch seit Saisonbeginn Teil der ersten Mannschaft. Erst im Januar 2024 wurde Shio Fukuda aus der U23 in den Profikader berufen, kam in der Rückrunde auf fünf Kurzeinsätze in der Bundesliga. In erster Linie stürmte der japanische U20-Nationalspieler für die zweite Mannschaft, für die er in 21 Spielen sieben Tore erzielte und vier Treffer vorbereitete. Seine Entwicklung bleibt spannend zu beobachten, schließlich ist der 20-Jährige variabel einsetzbar, etwa als Mittelstürmer, auf der Position des Zehners oder auf den Flügeln. Dass die Plätze in Borussias Offensive hart umkämpft sind, könnte allerdings auch für Fukuda zur Herausforderung werden.

Geduld gefragt bei Ranos

Diesen Konkurrenzkampf spürte auch Grant-Leon Ranos. Der Armenier ist mit großen Erwartungen vom FC Bayern II nach Gladbach gekommen, schließlich sind dem Stürmer im Vorjahr 20 Tore und 13 Vorlagen bei 36 Einsätzen in der Regionalliga Bayern gelungen. Auch sein Saisonauftakt bei Borussia lief vielversprechend. Bei seinem Pflichtspieldebüt im DFB-Pokal steuerte er einen Treffer sowie eine Vorlage beim 7:0 Auswärtserfolg gegen die TuS Bersenbrück bei – in lediglich 18 Spielminuten.

Seoane wechselte den Angreifer neunmal in der Bundesliga ein; parallel spielte er für die U23, wo er in acht Einsätzen sieben Scorerpunkte sammelte. Eine beachtliche Bilanz, die eventuell noch besser ausgefallen wäre, wenn Ranos nicht seit April von einer Sprunggelenksverletzung ausgebremst worden wäre. Um ihm in der kommenden Saison mehr Spielzeit zu gewähren, steht eine Leihe im Raum. Wie zuletzt das Beispiel Rocco Reitz zeigt, kann dies für alle Beteiligten lohnend sein.

Derweil arbeitet die sportliche Führung weiter an der langfristigen Zukunft. Unter anderem wurde der 17-Jährige Fritz Fleck von der U17 des BVB verpflichtet, der Mittelfeldspieler gilt als eines der größten deutschen Talente. Weitere sollen folgen. Ob Borussias Perspektivspieler die nächsten Schritte gehen können, hängt jedoch davon ab, inwiefern sich die Mannschaft stabilisieren kann. Dies ist vor allem Aufgabe der erfahrenen Säulen im Kader. Schließlich benötigen die Entwicklung und Förderung von Talenten Raum für Fehler, die zwangsläufig passieren. Dann zeigt sich auch, ob sich der Borussia-Weg – wie von Virkus versprochen – „auf Strecke“ auszahlt.

Hinweis der Redaktion: Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Beitrag von Gastautor Frederik Schlößer. Der 25-Jährige aus Heinsberg hat diesen im Rahmen eines Uni-Seminars der RWTH Aachen mit dem Thema “Schreiben im Netz“ geschrieben. Wir bedanken uns recht herzlich bei ihm für diesen Beitrag.

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