Die „echte Neun“ am Niederrhein: Eine ganz spezielle Beziehung

Ex-Borusse Breel Embolo – Unter Marco Rose im Strumzentrum eingesetzt und als Ballverteiler. Foto: Dirk Päffgen.

Groß, wuchtig, torgefährlich: Die Anforderungen an den „echten Neuner“ sind im Profifußball klar definiert. Mit Tim Kleindienst hat Borussia Mönchengladbach eben diesen Spielertypen verpflichtet, allerdings sorgte das Thema „Mittelstürmer“ bei den Borussia-Fans in der Vergangenheit eher für Kopfzerbrechen als für Jubelsprünge. Gelingt das Experiment mit einer klassischen Neun diesmal? Dafür lohnt sich der Blick auf die jüngere Vereinshistorie.

Negativbeispiele blieben im Gedächtnis – ein Kanadier bildet die Ausnahme

Wer sich an den letzten Zweitliga-Ausflug der Fohlenelf in der Saison 2007/08 erinnert, wird vor allem den Namen Rob Friend im Gedächtnis haben. Der Kanadier fiel mit seinen 1,95 Meter Körpergröße in die Kategorie „klassischer Mittelstürmer“. In 33 Zweitliga-Auftritten erzielte Friend 18 Treffer – damit ist er der einzige Neuner der jüngeren Vereinsgeschichte, der die 15-Tore-Marke in einer Spielzeit geknackt hat. Seit 2015 befindet sich der Ex-Profi im Ruhestand, er dürfte somit genügend Zeit gehabt haben, das eine oder andere Spiel von Borussia zu verfolgen. Trotz der allgemein erfolgreichen 2010er Jahre konnte Friend selten Treffer seiner Nachfolger auf der Neun bestaunen.

Einer von ihnen? Luuk De Jong. Der Niederländer kam für eine Ablöse von zwölf Millionen Euro aus Enschede nach Mönchengladbach und war bis dahin der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte. Im System von Trainer Lucien Favre hat er jedoch nicht funktioniert. Nach einer bescheidenen Ausbeute von sechs Toren in 2012/13 wurde er an Newcastle United verliehen, ehe er 2014 an die PSV Eindhoven verkauft wurde. In seinem Heimatland blühte De Jong wieder auf, ebenso bei der Folgestation FC Sevilla. An seinen Fähigkeiten lag es also nicht, dass er am Niederrhein keine erfolgreiche Zeit erlebte. Möglicherweise war De Jong in Mönchengladbach der richtige Stürmer zur falschen Zeit.

Ähnlich war die Situation bei seinem Mitspieler Branimir Hrgota. »Vergessen Sie Hrgota nicht«, hatte Favre damals gemahnt. Zumindest diesen Satz hat bis heute kein Borussia-Fan vergessen. Zunächst auch auf Rechtsaußen eingeplant, wurde der Schwede in der Spielzeit 2014/15 ausschließlich als Mittelstürmer eingesetzt. In vier Jahren traf er lediglich siebenmal in der Bundesliga, konnte bei Borussia nur selten überzeugen. Nach einer unglücklichen Zwischenstation bei Eintracht Frankfurt gelangte Hrgota 2021 zur SpVgg Greuther Fürth. Dort stieg er auf Anhieb zum Leistungsträger auf, erhielt sogar die Kapitänsbinde. So fand auch Hrgota sein Glück außerhalb von Mönchengladbach.

Trotzdem startete die sportliche Führung um Max Eberl einen weiteren Versuch, einen festen Mittelstürmer bei Borussia zu etablieren. Im Sommer 2015 kam Josip Drmic für zehn Millionen Euro aus Leverkusen. Trotz des Trainerwechsels von Lucien Favre zu André Schubert spielte Drmic keine große Rolle – der Schweizer wurde bereits nach einem halben Jahr an den Hamburger SV verliehen. Es folgten drei weitere, erfolglose Jahre bei Borussia, insgesamt erzielte Drmic sieben Treffer im Dress der Fohlen. Der Schweizer konnte die Erwartungen nie erfüllen, die die Fans aufgrund seiner herausragenden Saison in Nürnberg an ihn stellten. Damals erzielte er in 34 Spielen 17 Tore in der Spielzeit 2013/14, ehe er sich Bayer Leverkusen anschloss. Zuletzt schnürte Drmic die Fußballschuhe für Dinamo Zagreb, inzwischen ist der 31-Jährige vereinslos.  Wie die Beispiele de Jong, Hrgota und Drmic zeigen, mussten andere das Toreschießen am Niederrhein übernehmen. 

Mehrere Schultern trugen die Last

Es waren andere Spielertypen, die Borussias Fans in der Vergangenheit jubeln ließen. Einer von ihnen stellte sogar Friends 18-Tore-Rekord ein – es handelt sich um keinen Geringeren als Marco Reus. Der inzwischen 35-Jährige war das Gesicht der Saison 2011/12, als die Fohlen einen sagenhaften vierten Platz erreichten. Er kam unter Favre primär als hängende Spitze neben Mike Hanke zum Einsatz. Schließlich erfüllte auch Reus nicht das Profil des klassischen Neuners.

Wenige Zeit später duellierten sich zwei weitere Namen um die interne Torschützenkrone: Max Kruse und sein Sturmpartner Raffael erzielten in der Saison 2013/14 zusammengerechnet 26 Treffer, wobei Raffael mit 14 Toren den größeren Anteil beitrug. Im darauffolgenden Jahr hatte der Brasilianer mit zwölf Treffern erneut die Nase vor seinem Kollegen, dem immerhin elf Tore gelangen.

Unabhängig davon, wer auf der Trainerbank saß, wurde die ‚Last des Toreschießens‘ Jahr für Jahr auf mehrere Schultern verteilt. Thorgan Hazard beispielsweise kam in seinen besten Saisons 2017/18 sowie 2018/19 auf jeweils zehn Treffer. Lars Stindl, der eigentlich für das zentrale Mittelfeld verpflichtet und zur Sturmspitze umfunktioniert wurde, traf in seinem erfolgreichsten Jahr 2020/21 sogar 14-mal. Borussias Fans gewannen den Eindruck, dass eine klare Neun in Mönchengladbach weder gebraucht noch gewollt wird. Doch spätestens mit der Verpflichtung von Tomáš Čvančara im vergangenen Sommer wurde ein Kurswechsel eingeleitet. 

Inzwischen stehen Neuner wieder hoch im Kurs

Spieler wie Breel Embolo, Alassane Pléa oder Marcus Thuram kamen dem klassischen Mittelstürmer-Profil schon deutlich näher. Sie alle wechselten jedoch öfter die Rollen. Embolo, der unter Marco Rose im Sturmzentrum aufgestellt wurde, ließ sich nicht selten eine Reihe zurückfallen, agierte als Ballverteiler im offensiven Zentrum. Dementsprechend traf er innerhalb einer Saison nie zweistellig für die Fohlen, neun Tore in 2021/22 waren seine Bestleistung. In seinen drei Jahren bei Borussia bereitete der Schweizer solide 18-mal vor.

Pléa hingegen kam in der Vergangenheit nicht nur im Sturmzentrum, sondern auch auf dem linken Flügel oder als hängende Spitze zum Einsatz. Seine Variabilität zeichnet den Franzosen aus. In drei seiner sechs Saisons für Borussia traf Pléa mindestens zehnmal, das beste Ergebnis erzielte er mit zwölf Toren in seinem Premierenjahr 2018/19. Sollte er trotz oberflächlicher Wechsel-Gerüchte bleiben, würde er bereits in sein siebtes Jahr in Mönchengladbach gehen.

Ebenso wie Pléa wurde sein Landsmann Thuram ursprünglich auf dem linken Flügel eingesetzt. Wurde anfangs noch auf seine Vielseitigkeit gesetzt, beschränkte sich Daniel Farke darauf, Thuram ausschließlich als Sturmspitze einzusetzen. Dies zahlte der 1,92 m große Mittelstürmer mit seiner Bestleistung von 13 Toren in der Saison 2022/23 zurück. Auch bei seinem aktuellen Club Inter Mailand und in der französischen Nationalmannschaft wird Thuram in der Sturmspitze eingesetzt, er scheint seine Position gefunden zu haben.

Somit beweisen vor allem die letzten Jahre, dass Borussia einen klassischen Neuner einzusetzen weiß. Schließlich kommt es immer auf den Trainer, das System und die individuelle Qualität des Spielers an. Für seine Taktik setzt Gerardo Seoane fest auf die klassische Neun, hat dies bereits in der letzten Saison in Form von Jordan oder Čvančara gezeigt. Letzterer wird nach vergangenem Verletzungspech noch etwas Zeit brauchen, um sich Stück für Stück zu entwickeln.

Borussias Anhänger dürfen gespannt sein, inwiefern Kleindienst seine Knipser-Qualitäten in Mönchengladbach einbringen kann – eine Umfunktionierung zum Flügelspieler oder Zehner ist bei ihm wohl nicht zu erwarten. Letztlich ist die Anforderung an Kleindienst aber nicht, eine eigens gesetzte Torquote zu erfüllen, sondern der Mannschaft dabei zu helfen, wieder in die Spur zu kommen. Wie oft er den Ball dabei selbst im Tor versenkt, dürfte für die Fans zweitrangig sein.

9,95 

Brandaktuell

Weitere Artikel

Borussia-Shop

Offizieller Händler

9,95 

Lokal

Partnernetzwerk